Innerhalb weniger Tage hat sich die Stimmung rund um die türkische Nationalmannschaft von Euphorie und Vorfreude auf die Europameisterschaft 2024 in einer mittelschwere Depression gewandelt. Knapp drei Monate vor dem Start der EURO in Deutschland setzte die Türkei gleich beide EM-Testspiele im März in Ungarn (0:1) und Österreich (1:6) in den Sand, wobei vor allem das Debakel in Wien Spuren hinterlassen hat.
Nach dem 3:2-Sieg im November in Berlin gegen EM-Gastgeber Deutschland und aufgrund der Entscheidung von Supertalent Can Uzun (1. FC Nürnberg) für eine Zukunft in der türkischen statt in der deutschen Nationalelf war man am Bosporus bester Laune. Auch, weil sich neben Uzun mit Kenan Yildiz (Juventus Turin) und Arda Güler (Real Madrid) weitere Top-Talente mit riesigem Potential mehr und mehr im türkischen Kader für die EM 2024 in den Vordergrund spielen.
Kılıçsoy trifft für die U21 doppelt
In die Riege der hoffnungsvollen Nachwuchsnationalspieler gehört fraglos auch Semih Kılıçsoy, der mit neun Toren und einer Vorlage in 17 Spielen der Süper Lig für Besiktas Istanbul auf sich aufmerksam gemacht hat. Der 18-Jährige wurde von Nationaltrainer Vincenzo Montella denn auch erstmals in den A-Kader berufen, dann allerdings wie Verteidiger Ahmetcan Kaplan (Ajax Amsterdam) doch noch zur U21 abkommandiert.
In seinen ersten beiden U21-Auswahlspielen gegen Georgien (2:1) und in Italien (1:1) traf Kılıçsoy dann prompt jeweils und verstärkte das insbesondere im Umfeld von Besiktas Istanbul vorhandene Unverständnis über Montellas Entscheidung.
Während Montella durchaus nachvollziehbar die höhere Aussicht auf Spielzeit in der U21 als Begründung anführte, bezeichnete Besiktas-Funktionär Feyyaz Uçar die Maßnahme als „Skandal“ und auch Vize-Präsident Mete Vardar wurde deutlich: „Im sportlichen Sinne gibt es dafür keine Entschuldigung.“
Montella wertet Rücktrittsfrage als Provokation
Die Personalie Kılıçsoy, vor allem aber eine größere Rotation vor dem Spiel in Österreich, das letztlich einen desaströsen Verlauf nehmen sollte, rückten Montella in den vergangenen Tagen in die Kritik.
So sehr, dass die bekanntlich nicht zimperlichen türkischen Medien die Pressekonferenz in Wien direkt zur Frage nach einem möglichen Rücktritt in Folge der enttäuschenden Entwicklung nutzten. Montella, der erst im September 2023 sein Amt angetreten hat, übernahm zwar grundsätzlich die Verantwortung für die deutliche Niederlage, hatte aber auch eine unmissverständliche Replik parat: “Ich werde diese Frage nicht beantworten. Ich halte sie für eine Provokation und möchte meinerseits Folgendes fragen: Treten Sie zurück, wenn Sie einen Fehler machen, während Sie eine Frage stellen?
Anstatt an Rücktritt zu denken zeigte sich der italienische Fußball-Lehrer vielmehr kämpferisch: “Es war ein Ergebnis, das niemand erwartet hatte. Es tut uns leid für unser Land. Solche Spiele geben einem die Möglichkeit, den Kopf wieder aufzurichten und weiterzumachen“, so Montella, der gegenüber “TRT Spor“auch ankündigte, “unsere Hausaufgaben machen und die für die EM beste Elf finden“ zu wollen.
Die Türkei trifft in Euro 24 Gruppe F auf Portugal, Tschechien und Georgien. Mit den Leistungen aus den Testspielen wird es schwierig, hier den Aufstieg zu schaffen.